Zum Feststellungsinteresse des Sozialhilfeträgers an der Erbenstellung einer Sozialleistungsbezieherin

  1. Das Recht zur Ausschlagung der Erbschaft ist ein allein dem Erben bzw. seinen Rechtsnachfolgern, den Erbeserben, persönlich zustehendes Recht. Ein Sozialhilfeträger kann das Ausschlagungsrecht nicht auf sich überleiten und ausüben. Andernfalls erhielte der Sozialhilfeträger die Möglichkeit, auf die Erbfolge Einfluss zu nehmen, was generell nicht dem Erblasserwillen entspricht und nach dem Gesetz den Bedachten selbst vorbehalten ist.
  2. Gegenstand einer Feststellungsklage kann auch ein Rechtsverhältnis zwischen einer Partei und einem Dritten sein bzw. ein Rechtsverhältnis, an dem der Kläger nicht beteiligt ist. Voraussetzung für die Zulässigkeit einer solchen Klage ist aber, dass dieses Rechtsverhältnis zugleich für die Rechtsbeziehungen der Prozessparteien untereinander von Bedeutung ist und der Kläger ein rechtliches Interesse an einer alsbaldigen Klärung dieser Frage hat. Ausreichend ist eine wenigstens mittelbare Betroffenheit des Klägers.
  3. Die Klage eines Testamentsvollstreckers und die Klage eines Sozialhilfeträgers auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines von einem Erbprätendenten in Anspruch genommenen Erbrechts sind nicht vergleichbar. Der Testamentsvollstrecker hat in diesem Fall ein Feststellungsinteresse, welches aus seinem eigenständigen Recht, den letzten Willen des Erblassers zu verwirklichen und zu verteidigen, folgt. Ein Sozialhilfeträger hat — wie in der diesem Fall zugrundeliegenden Konstellation — aber keine rechtliche Beziehung zum Nachlass.

BGH, Beschluss vom 02.11.2022, Leitsatz – IV ZR 39/22

Zur Erbausschlagung bei Bestehen einer unklaren Rechtslage

  1. Die Frist zur Erbausschlagung beginnt gemäß § 1944 Abs. 2 S. 1 BGB erst mit der Kenntnis über den Anfall der Erbschaft und den Grund der Berufung. Bei mehreren sich widersprechenden, gewillkürten Erbfolgeregelungen stellt jede für sich einen Berufungsgrund dar, über den jeweils für sich genommen falsche Vorstellungen den Beginn der Ausschlagungsfrist hindern können.
  2. Ein die Kenntnis ausschließender Rechtsirrtum kann auch dann vorliegen, wenn dem Erben die richtige Einschätzung der Rechtslage als mögliche Betrachtungsweise zwar bekannt ist, er selbst aber die Rechtslage anders beurteilt oder sie jedenfalls für zweifelhaft hält.
  3. Eine Markierung von Nachlassgegenständen ist ein mehrdeutiger Verhaltensakt, sodass es für den Rückschluss auf einen konkludenten Annahmewillen auf die Umstände des Einzelfalls ankommt.
  4. § 1948 Abs. 2 BGB schließt die Beachtlichkeit eines den Beginn der Ausschlagungsfrist hemmenden Rechtsirrtums im Sinne des § 1944 Abs. 2 S. 1 BGB nicht aus.
  5. Setzt die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs die Ausschlagung voraus, beginnt die Verjährung grundsätzlich nicht erst mit der Ausschlagung, sondern mit dem Erbfall. Die entsprechende Hemmung des Beginns der Verjährungsfrist ist jedoch in Fällen, in denen sich der Pflichtteilsanspruch erst aus einer nach der Ausräumung eines beachtlichen Irrtums über den Berufungsgrund erfolgten Ausschlagung ergibt, anerkannt.

LG Wuppertal, Urteil vom 06.01.2023, Leitsatz – 2 O 298/19