Zu den Voraussetzungen eines Widerspruchs im Sinne von § 2258 Abs. 1 BGB

1. Ein Widerspruch im Sinne von § 2258 Abs. 1 BGB liegt auch dann vor, wenn der Erblasser mit dem späteren Testament seine Erbfolge insgesamt, d.h. abschließend und umfassend, neu geregelt hat.

2. Im Erbscheinerteilungsverfahren gehen verbleibende Zweifel zulasten desjenigen, der einen Widerspruch zwischen dem früheren und einem späteren Testament geltend macht.

3. Bei der Beantwortung der Frage, ob ein späteres Testament die Erbfolge vollständig und abschließend neu regelt, sind alle Umstände des Falls zu berücksichtigen, die Aufschluss über den Testierwillen des Erblassers geben können. Neben dem Wort der zur Beurteilung stehenden testamentarischen Verfügung ist auch der Inhalt früherer Testamente sowie eine dort erkennbare Übung des Erblassers, vollständige Testamente zu errichten, die allenfalls durch Streichungen oder Ergänzungen geändert werden, zu berücksichtigen.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.12.2023, Leitsatz – I-3 Wx 189/23

Zur Erbausschlagung bei Bestehen einer unklaren Rechtslage

  1. Die Frist zur Erbausschlagung beginnt gemäß § 1944 Abs. 2 S. 1 BGB erst mit der Kenntnis über den Anfall der Erbschaft und den Grund der Berufung. Bei mehreren sich widersprechenden, gewillkürten Erbfolgeregelungen stellt jede für sich einen Berufungsgrund dar, über den jeweils für sich genommen falsche Vorstellungen den Beginn der Ausschlagungsfrist hindern können.
  2. Ein die Kenntnis ausschließender Rechtsirrtum kann auch dann vorliegen, wenn dem Erben die richtige Einschätzung der Rechtslage als mögliche Betrachtungsweise zwar bekannt ist, er selbst aber die Rechtslage anders beurteilt oder sie jedenfalls für zweifelhaft hält.
  3. Eine Markierung von Nachlassgegenständen ist ein mehrdeutiger Verhaltensakt, sodass es für den Rückschluss auf einen konkludenten Annahmewillen auf die Umstände des Einzelfalls ankommt.
  4. § 1948 Abs. 2 BGB schließt die Beachtlichkeit eines den Beginn der Ausschlagungsfrist hemmenden Rechtsirrtums im Sinne des § 1944 Abs. 2 S. 1 BGB nicht aus.
  5. Setzt die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs die Ausschlagung voraus, beginnt die Verjährung grundsätzlich nicht erst mit der Ausschlagung, sondern mit dem Erbfall. Die entsprechende Hemmung des Beginns der Verjährungsfrist ist jedoch in Fällen, in denen sich der Pflichtteilsanspruch erst aus einer nach der Ausräumung eines beachtlichen Irrtums über den Berufungsgrund erfolgten Ausschlagung ergibt, anerkannt.

LG Wuppertal, Urteil vom 06.01.2023, Leitsatz – 2 O 298/19

Anfechtung einer Erbausschlagung: Irrtum über die Werthaltigkeit des Nachlasses

Der potentielle gesetzliche Erbe, der die Erbschaft ohne Angabe von Gründen ausschlägt und sodann mit Blick auf die inzwischen festgestellte Werthaltigkeit des Nachlasses seine Ausschlagungserklärung anficht, weil er irrtümlich von einem überschuldeten Nachlass ausgegangen sei, macht nicht den Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft (Erbschaft), sondern einen bloßen unbeachtlichen Motivirrtum geltend, da er seine Ausschlagungserklärung ohne Kenntnis von der Zusammensetzung des Nachlasses und ohne Bewertung ihm etwa bekannter oder zugänglicher Fakten, nämlich auf spekulativer — bewusst ungesicherter – Grundlage abgegeben hat.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom  09.12.2020 –  I-3 Wx 13/20
(Leitsatz)

Zur Verschwiegenheitspflicht eines Notars hinsichtlich des eröffneten Inhalts der letztwilligen Verfügung

1. Im Rahmen des § 18 Abs. 2, 2. Hs. BNotO hat die Aufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob der verstorbene Beteiligte, wenn er noch lebte, bei verständiger Würdigung der Sachlage die Befreiung erteilen würde oder ob unabhängig hiervon durch den Todesfall das Interesse an einer weiteren Geheimhaltung entfallen ist.

2. Dabei ist nur über die auf einen bestimmten tatsächlichen Vorgang bezogene Befreiung des Notars von der Verschwiegenheitspflicht zu entscheiden, aber nicht (auch nicht nur mittelbar) darüber, ob überhaupt und wie der bei einer stattgebenden Entscheidung von seiner Verschwiegenheitspflicht entbundene Notar dem Antragsteller die erstrebte Information zu verschaffen hat.

3. Mit dem Tod entfällt das Interesse des Erblassers an der Geheimhaltung seines letzten Willens den gesetzlichen Erben gegenüber insoweit, als der letzte Wille diese betrifft. Denn um die Verwirklichung des letzten Willens sicherzustellen, müssen insbesondere über die Erbeinsetzung der testamentarischen Erben und die damit verbundene Enterbung der gesetzlichen Erben auch letztere informiert werden.

BGH, Urteil vom 20.07.2020 – NotZ(Brfg) 1/19
(Leitsatz)

Testierwille

Ein Testament ist nur dann wirksam, wenn der Erblasser bei seiner Errichtung einen ernstlichen Testierwillen hatte, d.h. ernstlich eine rechtsverbindliche Anordnung für seinen Todesfall treffen wollte. Zweifel an einem endgültigen Testierwillen können sich u.a. aus ungewöhnlichen Schreibmaterialien, ungewöhnlichen Errichtungsformen, der inhaltlichen Gestaltung und einem ungewöhnlichen Aufbewahrungsort ergeben. Bei solchen Zweifeln ist stets zu prüfen, ob es sich nicht lediglich um einen Testamentsentwurf handelt.

OLG Hamm, Beschluss vom 15.06.2021 – 10 W 18/21
(§ 133 BGB)

Vernehmung eines Notars als Zeugen

Ein zur Verschwiegenheit verpflichteter Notar kann nicht auf der Grundlage einer mutmaßlichen Einwilligung eines verstorbenen Erblassers als Zeuge über dessen Willensbildung bei Abfassung seiner letztwilligen Verfügung vernommen werden. Maßgeblich ist insoweit allein die Befreiung von der Pflicht zur Verschwiegenheit durch die Aufsichtsbehörde (§ 18 Abs. 2 Hs. 2 BNotO).

OLG Frankfurt, Beschluss vom 18.03.2021 – 20 W 275/19

Tatsächliche Vermutung dahingehend, dass keine Wechselbezüglichkeit bei Erbeinsetzung der Kinder direkt durch beide Ehegatten vorliegt

1. Bei einer wechselbezüglichen Verfügung soll nach dem Willen der Eheleute die eine Verfügung mit der anderen stehen und fallen.

2. Setzen die Ehegatten durch gemeinschaftliches Testament das gemeinsame Kind jeweils direkt zu ihrem Erben ein, besteht die tatsächliche Vermutung, dass die jeweilige Erbeinsetzung nicht wechselbezüglich verfügt ist. Dies gilt, solange keine sonstigen Tatsachen vorhanden sind, aus denen geschlossen werden könnte, dass der eine Ehegatte gerade deshalb das andere Kind zu seinem Erben bestimmt hat, weil auch der andere Ehegatte entsprechend verfügt hat.

3. Die ergänzende Testamentsauslegung setzt eine Regelungslücke voraus.

4. Die Feststellungslast für die die Wechselbezüglichkeit einer Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament begründenden Tatsachen trifft denjenigen, der sein Erbrecht auf die Wechselbezüglichkeit stützt.

KG Berlin, Beschluss vom 12.02.2021 – 6 W 1071/20
(Leitsatz)

Sittenwidrigkeit eines zugunsten einer Berufsbetreuerin und eines „Seniorenbetreuers“ errichteten notariellen Testaments

1. Zur Feststellung der Testierunfähigkeit eines unter Betreuung stehenden Erblassers.

2a. Ungeachtet der nach wie vor fehlenden Wertung des Gesetzgebers, dass Zuwendungen des Betreuten an den Betreuer als sittenwidrig anzusehen sind, kann ein notarielles Testament zugunsten einer Berufsbetreuerin und eines „Seniorenbetreuers“ sittenwidrig sein, wenn — wie vorliegend — eine Berufsbetreuerin ihre gerichtlich verliehene Stellung und ihren Einfluss auf einen älteren, kranken und alleinstehenden Erblasser dazu benutzt, gezielt auf den leicht beeinflussbaren Erblasser einzuwirken und ihn dazu zu bewegen, vor einer von ihr herangezogenen Notarin in ihrem Sinne letztwillig zu verfügen.

2b. Dass als Folge der Nichtigkeit des Testaments der Fiskus erben wird (§ 1936 Satz 1 BGB), verändert den Maßstab bei der Anwendung von § 138 BGB nicht zugunsten der eingesetzten Erben.

OLG Celle, Urteil vom  07.01.2021 – 6 U 22/20
(Leitsatz)

Anfechtung der Ausschlagung bei Irrtum über die Person des Nächstberufenen

1. Bei einer sogenannten „lenkenden Ausschlagung“ stellt der Irrtum über die Person des nächstberufenen Erben grundsätzlich einen beachtlichen Rechtsfolgenirrtum als Inhaltsirrtum dar.

2. Irrt der Ausschlagende nicht über den durch seine Ausschlagung bewirkten Anfall der Erbschaft bei dem Nächstberufenen, sondern war das Ziel seiner Ausschlagung, dass nach weiterer Ausschlagung durch einen der Nächstberufenen die Erbschaft bei einer bestimmten Person anfällt, so irrt der Ausschlagende nicht über die unmittelbaren Rechtsfolgen seiner Ausschlagungserklärung. In diesem Fall bleibt es bei einem unbeachtlichen Motivirrtum.

OLG Frankfurt, Beschluss vom  06.02.2021 – 21 W 167/20

Erbenfeststellungsklage

1. Die Relativität von Prozessrechtsverhältnissen beschränkt bei Klagen, die auf Feststellung des Erbrechts gerichtet sind, nicht den Prüfungsumfang des Gerichts hinsichtlich der Auslegung von Verfügungen von Todes wegen. Verfügungen des Erblassers dürfen auch dann der Entscheidung zugrunde gelegt werden, wenn sie das konkrete Prozessrechtsverhältnis nur mittelbar betreffen.

2. Deshalb bleibt eine auf Feststellung des Erbrechts gerichtete Feststellungsklage auch dann erfolglos, wenn ein Dritter, der nicht am Rechtsstreit beteiligt ist, zweifelsfrei Erbe geworden ist.

3. Wird über die positive Feststellung der eigenen Erbenstellung hinaus die Feststellung beantragt, die beklagte Partei sei nicht Erbe geworden, besteht für eine solche Klage kein Feststellungsinteresse.

4. Geht es um die Frage, ob eine Ersatzerbeneinsetzung gegen § 14 HeimG verstößt, setzt ein Verstoß voraus, dass zwischen dem Testierenden und dem Ersatzerben Einvernehmen im Hinblick auf die Zuwendung vorliegt.

OLG München, Beschluss vom 05.07.2021 – 33 U 7071/20

Ausschlagung eines minderjährigen Kindes

1. Bei der Ausschlagung der einem minderjährigen Kind angefallenen Erbschaft handelt es sich gemäß § 1643 Abs. 2 BGB um eine genehmigungsbedürftige Erklärung. Hat das Familiengericht die Genehmigung versagt, so hat dies zur Folge, dass das minderjährige Kind gesetzliche Erbin bleibt und für etwaige Nachlassverbindlichkeiten haftet.

2. Mit der Beschwerde kann nur erreicht werden, dass die Genehmigung zur Ausschlagung der Erbschaft erteilt wird. Damit ist die Erbschaft indes noch nicht ausgeschlagen. Vielmehr steht es der Sorgerechtsinhaberin frei, ob sie von der Genehmigung gegenüber dem Nachlassgericht Gebrauch macht oder nicht.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 10.03.2021 – 13 WF 14/21
(Leitsatz der Schriftleitung)

Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit der Testamentsechtheit

Da eine absolute Gewissheit der Echtheit eines Testaments im naturwissenschaftlichen Sinne fast nie zu erreichen und die theoretische Möglichkeit des Gegenteils der Tatsache, die festgestellt werden soll, kaum auszuschließen ist, genügt für die richterliche Überzeugung nach herrschender Rechtsprechung insoweit ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der vernünftige Zweifel ausschließt. Eine solche Gewissheit liegt auch in Amtsverfahren — wie dem Erbscheinsverfahren – vor, wenn diese einen Grad erreicht hat, „der den Zweifeln Einhalt gebietet“, ohne sie völlig ausschließen zu können.

OLG Rostock, Beschluss vom 31.08.2020 – 3 W 84/19
(§ 2247, 2267 BGB; § 26 FamFG)