Kein quotenloser Erbschein bei eindeutigen und zweifelsfreien Bestimmungen des Erblassers zu den Erbquoten

Die Ausnahmevorschrift des § 352a Abs. 2 S. 2 FamFG, wonach „die Angabe der Erbteile … nicht erforderlich (ist), wenn alle Antragsteller in dem Antrag auf die Aufnahme der Erbteile in den Erbschein verzichten“, findet nach ihrem Sinn und Zweck keine Anwendung, wenn der Erblasser eindeutige und zweifelsfreie Bestimmungen zu den Erbquoten getroffen hat, die ohne Weiteres in den Erbscheinsantrag übernommen werden können, und kein Grund vorliegt, von der Angabe der Erbquote abzusehen.

OLG Celle, Beschluss vom 23.10.2023, Leitsatz — 6 W 116/23

Testamentsauslegung: Rangverhältnis zwischen Erfüllung angeordneter Vermächtnisse und Testamentsvollstreckervergütung

1. Die Auslegung eines notariellen Testaments kann ergeben, dass unter den Begriff der „Erbfallschulden“ nicht die Testamentsvollstreckervergütung fällt.
2. Grundsätzlich erfasst der Rechtsbegriff der „Erbfallschulden“ auch die Testamentsvollstreckervergütung. Es können jedoch konkrete Anhaltspunkte bestehen, die die Vermutung entkräften, dass der objektive Erklärungsinhalt dem Willen des Erblassers entspricht, sodass eine Auslegung vorzunehmen ist.
3. Nach der Neuen Rheinischen Tabelle berechnet sich der Vergütungsgrundbetrag der Testamentsvollstreckervergütung aus dem Nachlasswert, multipliziert mit einem von der Tabelle vorgegebenen Prozentwert.

LG München, Endurteil vom 13.06.2022, Leitsatz – 33 U 6666/21

Testamentsauslegung: Änderungsvorbehalt beim Ehegattentestament

Wird in einem gemeinsamen Testament durch die Eheleute bestimmt, „dass der Letztversterbende berechtigt ist, das Testament noch einseitig abzuändern, jedoch nur, indem die Verteilung des Nachlasses unter den Kindern anders geregelt wird“, kann diese Änderungsbefugnis dahingehend ausgelegt werden, dass eines der Kinder das gesamte Erbe enthält. Denn in diesem Fall handelt es sich streng genommen auch um eine „andere Verteilung“ des Nachlasses.

OLG Hamm, Beschluss vom 05.05.2022, Leitsatz – 10 W 40/21

Kein Ausstattungscharakter eines übertragenen Mietshauses

  1. Voraussetzung für das Bestehen von Auskunfts- und Wertermittlungsansprüchen ist nicht das Bestehen eines Pflichtteilsanspruchs, sondern nur eines Pflichtteilsrechts; eine Auskunfts- und Wertermittlungspflicht ist jedoch dann zu verneinen, wenn der Pflichtteilsanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt besteht.
  2. Der Auskunftsanspruch eines Pflichtteilsberechtigten bezieht sich inhaltlich auch auf die Tatsachen und Umstände, die Zuwendungen als Ausstattung bzw. Schenkung qualifizieren.
  3. Die Darlegungs- und Beweislast für die Umstände, die eine Ausgleichungspflicht nach § 2050 Abs. 1 BGB wegen Vorliegens einer Ausstattung begründen, trifft denjenigen, der daraus Rechte herleitet, also die Anrechnung einer Zuwendung auf den Erbteil verlangt oder einen Ausgleich im Rahmen der Pflichtteilsberechnung geltend macht; er kann sich dabei nicht auf einen Anscheinsbeweis oder sonstige Beweiserleichterungen berufen, da die zeitlich unbegrenzte Ausgleichung die Ausnahme und nicht die Regel ist.
  4. Gegen den Ausstattungscharakter im Sinne des § 2050 Abs. 1 BGB der lebzeitigen Übertragung eines Mietshauses durch den späteren Erblasser auf eines seiner Kinder kann sprechen, dass er zuvor auch seinem anderen Kind erheblichen Grundbesitz übertragen hat.
  5. Ist der Zuwendungsempfänger im Zeitpunkt der Übertragung des Mietshauses bereits 38 Jahre alt, seit zehn Jahren verheiratet, hat er vier Kinder und eine eigene Firma, von deren Einkünften er gut leben kann (jährlicher Gewinn von mehr als 50.000 DM zu Beginn der 90er-Jahre), und verfügt zudem der Ehepartner über eigene, nicht unerhebliche Einkünfte, die ebenfalls geeignet sind, die Sicherstellung des Familienunterhalts zu garantieren, kann ein Ausstattungscharakter nicht angenommen werden, selbst wenn der Erhalt der Immobilie gegebenenfalls geeignet ist, den Zuwendungsempfänger und seine Familie auf ein höheres wirtschaftliches Lebensniveau zu heben.

OLG Koblenz, Urteil vom 24.04.2023, Leitsatz – 12 U 602/22

Zum Beweis eines Widerrufs nach § 2255 BGB

  1. Zum Nachweis eines testamentarischen Erbrechts ist grundsätzlich die Urschrift der Urkunde vorzulegen, auf die das Erbrecht gestützt wird. Ist diese Urkunde nicht auffindbar, kommt der allgemein anerkannte Grundsatz zum Tragen, dass es die Wirksamkeit eines Testaments nicht berührt, wenn die Urkunde ohne Willen und Zutun des Erblassers vernichtet worden, verlorengegangen oder sonst nicht auffindbar ist. In einem solchen Fall können Errichtung und Inhalt des Testaments mit allen zulässigen Beweismitteln bewiesen werden.
  2. Eine Testamentskopie allein genügt nicht, um daraus ein Erbrecht abzuleiten, denn die Fotokopie als solche erfüllt nicht die Anforderungen an ein formgültiges privatschriftliches Testament. Auch mit einer eidesstattlichen Versicherung darf sich das Nachlassgericht nicht begnügen. Erforderlich ist vielmehr eine im Strengbeweisverfahren durchgeführte förmliche Beweisaufnahme.
  3. Eine Vernichtung wird nicht schon durch den Umstand belegt, dass das Originaltestament nicht vorliegt. § 2255 BGB setzt für die Aufhebung einer letztwilligen Verfügung deren bewusste Vernichtung voraus. Es müssen daher Tatsachen vorliegen, die in ihrer Gesamtheit den Schluss rechtfertigen, der Erblasser habe die Testamentsurkunde in der Absicht vernichtet, sie zu widerrufen.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 31.03.2023, Leitsatz – 11 W 73/21 (Wx)

Zur Zwangsvollstreckung bei bestehender Auskunftsverpflichtung nach § 2314 Abs. 1 S. 1 BGB

  1. Die Auskunftsverpflichtung nach § 2314 Abs. 1 S. 1 BGB ist auf eine unvertretbare Handlung gerichtet, deren Vollstreckung nach § 888 ZPO zu erfolgen hat, auch wenn die Mitwirkung eines Dritten, bspw. eines Notars, notwendig ist.
  2. Hängt die vorzunehmende Handlung nicht nur vom Willen des Schuldners ab, sondern auch von der Bereitschaft eines Dritten, bspw. eines Notars, dann ist der Schuldner im Vollstreckungsverfahren gem. § 888 ZPO verpflichtet, die Handlung des (ihm gegenüber) mitwirkungspflichtigen Dritten mit der gebotenen Intensität einzufordern, die ihm zustehenden tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen und den Dritten zu einer Mitwirkung zu bewegen.
  3. Für die erforderlichen Handlungen des intensiven Bemühens um die weitere Mitwirkungshandlung des Notars ist es nicht ausreichend, zunächst einen Notar ordnungsgemäß zu beauftragen, ohne sich dann im Nachgang um eine fristgemäße Erstellung und Vorlage des notariellen Nachlassverzeichnisses zu bemühen. Denn ein Schuldner ist verpflichtet, die erforderlichen Mitwirkungshandlungen des Notars mit Eindringlichkeit einzufordern. Dazu kann es erforderlich sein, eine Untätigkeitsbeschwerde gem. § 15 Abs. 2 BNotO zu erheben, wenn der Notar sich entgegen § 15 Abs. 1 BNotO weigert, ein Nachlassverzeichnis zu erstellen oder einen anderen Notar zu beauftragen.

OLG Hamm, Beschluss vom 27.02.2023, Leitsatz – 5 W 30/22

Zur Irrtumsanfechtung bei der sogenannten „lenkenden Ausschlagung“

Irrt sich der eine Erbschaft Ausschlagende bei Abgabe seiner Erklärung über die an seiner Stelle in die Erbfolge eintretende Person, ist dies nur ein Irrtum über eine mittelbare Rechtsfolge der Ausschlagungserklärung aufgrund anderer rechtlicher Vorschriften. Ein solcher Motivirrtum berechtigt nicht zur Anfechtung gemäß § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB.

BGH, Beschluss vom 22.03.2023, Leitsatz – IV ZB 12/22

Anspruch des Nacherben auf die Erbfallkostenpauschale

  1. Neben dem Vorerben kann auch der Nacherbe den Pauschbetrag für Erbfallkosten nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 S. 2 ErbStG in Anspruch nehmen.
  2. Der Abzug des Pauschbetrags setzt nicht den Nachweis voraus, dass zumindest dem Grunde nach tatsächlich Kosten angefallen sind (Änderung der Rechtsprechung).

Bundesfinanzhof, Urteil vom 01.02.2023, Leitsatz — II R 3/20

Auswirkungen der Unwirksamkeit einer Pflichtteilsentziehung durch Verzeihung auf die Wirksamkeit einer Enterbung

  1. Von einem zur Anfechtung nach § 2078 Abs. 2 BGB berechtigenden Irrtum des Erblassers ist nur dann auszugehen, wenn die Fehlvorstellung des Erblassers der letztlich entscheidende, ihn bewegende Grund für die Enterbung gewesen wäre und er bei Kenntnis der tatsächlichen Umstände mit Sicherheit von der Enterbung abgesehen hätte.
  2. Eine Verzeihung kann die Unwirksamkeit einer Enterbung nur über § 2085 BGB herbeiführen, d.h. wenn sich ein Erblasserwille feststellen lässt, wonach die — durch eine Verzeihung nach § 2337 BGB eingetretene – Unwirksamkeit der Pflichtteilsentziehung die Unwirksamkeit der Enterbung nach sich ziehen soll.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 08.02.2023, Leitsatz – 11 W 94/21 (Wx)

Zum Feststellungsinteresse des Sozialhilfeträgers an der Erbenstellung einer Sozialleistungsbezieherin

  1. Das Recht zur Ausschlagung der Erbschaft ist ein allein dem Erben bzw. seinen Rechtsnachfolgern, den Erbeserben, persönlich zustehendes Recht. Ein Sozialhilfeträger kann das Ausschlagungsrecht nicht auf sich überleiten und ausüben. Andernfalls erhielte der Sozialhilfeträger die Möglichkeit, auf die Erbfolge Einfluss zu nehmen, was generell nicht dem Erblasserwillen entspricht und nach dem Gesetz den Bedachten selbst vorbehalten ist.
  2. Gegenstand einer Feststellungsklage kann auch ein Rechtsverhältnis zwischen einer Partei und einem Dritten sein bzw. ein Rechtsverhältnis, an dem der Kläger nicht beteiligt ist. Voraussetzung für die Zulässigkeit einer solchen Klage ist aber, dass dieses Rechtsverhältnis zugleich für die Rechtsbeziehungen der Prozessparteien untereinander von Bedeutung ist und der Kläger ein rechtliches Interesse an einer alsbaldigen Klärung dieser Frage hat. Ausreichend ist eine wenigstens mittelbare Betroffenheit des Klägers.
  3. Die Klage eines Testamentsvollstreckers und die Klage eines Sozialhilfeträgers auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines von einem Erbprätendenten in Anspruch genommenen Erbrechts sind nicht vergleichbar. Der Testamentsvollstrecker hat in diesem Fall ein Feststellungsinteresse, welches aus seinem eigenständigen Recht, den letzten Willen des Erblassers zu verwirklichen und zu verteidigen, folgt. Ein Sozialhilfeträger hat — wie in der diesem Fall zugrundeliegenden Konstellation — aber keine rechtliche Beziehung zum Nachlass.

BGH, Beschluss vom 02.11.2022, Leitsatz – IV ZR 39/22

Zur Erbausschlagung bei Bestehen einer unklaren Rechtslage

  1. Die Frist zur Erbausschlagung beginnt gemäß § 1944 Abs. 2 S. 1 BGB erst mit der Kenntnis über den Anfall der Erbschaft und den Grund der Berufung. Bei mehreren sich widersprechenden, gewillkürten Erbfolgeregelungen stellt jede für sich einen Berufungsgrund dar, über den jeweils für sich genommen falsche Vorstellungen den Beginn der Ausschlagungsfrist hindern können.
  2. Ein die Kenntnis ausschließender Rechtsirrtum kann auch dann vorliegen, wenn dem Erben die richtige Einschätzung der Rechtslage als mögliche Betrachtungsweise zwar bekannt ist, er selbst aber die Rechtslage anders beurteilt oder sie jedenfalls für zweifelhaft hält.
  3. Eine Markierung von Nachlassgegenständen ist ein mehrdeutiger Verhaltensakt, sodass es für den Rückschluss auf einen konkludenten Annahmewillen auf die Umstände des Einzelfalls ankommt.
  4. § 1948 Abs. 2 BGB schließt die Beachtlichkeit eines den Beginn der Ausschlagungsfrist hemmenden Rechtsirrtums im Sinne des § 1944 Abs. 2 S. 1 BGB nicht aus.
  5. Setzt die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs die Ausschlagung voraus, beginnt die Verjährung grundsätzlich nicht erst mit der Ausschlagung, sondern mit dem Erbfall. Die entsprechende Hemmung des Beginns der Verjährungsfrist ist jedoch in Fällen, in denen sich der Pflichtteilsanspruch erst aus einer nach der Ausräumung eines beachtlichen Irrtums über den Berufungsgrund erfolgten Ausschlagung ergibt, anerkannt.

LG Wuppertal, Urteil vom 06.01.2023, Leitsatz – 2 O 298/19

Bemessung des Streitwerts und der Beschwer bei eigener Forderung des Klägers gegen den Nachlass

  1. Maßgebend für die Bemessung des Streitwerts und damit auch für die Rechtsmittelbeschwer des erstinstanzlich unterlegenen Klägers im Fall einer Erbfeststellungsklage ist der vom Kläger für sich in Anspruch genommene Anteil am Nachlass.
  2. Bei der Bemessung der Beschwer bzw. des Streitwerts sind nur unstreitige Verbindlichkeiten abzuziehen.
  3. Eine Forderung, die der Kläger selbst gegen den Nachlass geltend macht, hat wirtschaftlich auf seine begehrte Alleinerbenstellung keinen Einfluss, sondern wirkt sich erst mittelbar durch die eingetretene Konfusion in seinem Vermögen aus, ändert aber an dem Wert seiner begehrten wirtschaftlichen Beteiligung am Nachlass nichts.

BGH, Beschluss vom 22.2.2023, Leitsatz – IV ZB 13/22