Auswirkungen der Unwirksamkeit einer Pflichtteilsentziehung durch Verzeihung auf die Wirksamkeit einer Enterbung

  1. Von einem zur Anfechtung nach § 2078 Abs. 2 BGB berechtigenden Irrtum des Erblassers ist nur dann auszugehen, wenn die Fehlvorstellung des Erblassers der letztlich entscheidende, ihn bewegende Grund für die Enterbung gewesen wäre und er bei Kenntnis der tatsächlichen Umstände mit Sicherheit von der Enterbung abgesehen hätte.
  2. Eine Verzeihung kann die Unwirksamkeit einer Enterbung nur über § 2085 BGB herbeiführen, d.h. wenn sich ein Erblasserwille feststellen lässt, wonach die — durch eine Verzeihung nach § 2337 BGB eingetretene – Unwirksamkeit der Pflichtteilsentziehung die Unwirksamkeit der Enterbung nach sich ziehen soll.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 08.02.2023, Leitsatz – 11 W 94/21 (Wx)

Hemmung der Abschmelzungsfrist bei vorbehaltenem Wohnungsrecht

1. Das dem Erblasser eingeräumte Wohnungsrecht hemmt im vorliegenden Einzelfall den Beginn der Abschmelzungsfrist gemäß § 2325 Abs. 3 BGB, weil es an allen relevanten Räumen des verschenkten Hauses besteht, so dass der Erwerber insoweit keine eigene Nutzungsmöglichkeit hatte (Anschluss an BGH Urt. v. 29.06.2016 – IV ZR 474/15).

2. In einem solchen Fall sind die Unterschiede zwischen einem vorbehaltenen Nießbrauch und dem tatsächlich vereinbarten Wohnungsrecht so gering, dass die Interessen des Pflichtteilsberechtigten, denen bei der Beurteilung der Frage der Hemmung des Fristenlaufs gemäß § 2325 Abs. BGB besonderes Gewicht zukommt, es rechtfertigen, den Lauf der Frist gemäß § 2325 Abs. 3 BGB als gehemmt anzusehen (Anschluss an BGH Urt. v. 19.07.2011 – X ZR 140/10).

OLG München, Urteil vom 08.07.2022 – 33 U 5525/21
(§ 2325 BGB)

Zur Belegvorlage bei Auskunft und Wertermittlung im Pflichtteilsrecht

1. Der Pflichtteilsberechtigte hat im Rahmen des Auskunftsanspruchs zu Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen grundsätzlich keinen Anspruch auf Vorlage von Belegen.

2. Wird der Beklagte nicht nur zur Auskunftserteilung, sondern auch zur Belegvorlage verurteilt, kommt es für die Bemessung des Wertes des Beschwerdegegenstandes auch auf die Kosten an, die mit der Beschaffung der Belege (hier u.a. Bankunterlagen für die letzten 10 Jahre vor dem Erbfall) verbunden sind.

OLG München, Endurteil vom 23.8.2021 – 33 U 325/21
(Leitsatz)

Zu den Ermittlungsobliegenheiten beim fiktiven Nachlass durch einen Notar

1. Ein notarielles Verzeichnis, bei dessen Aufnahme das geltend gemachte Zuziehungsrecht missachtet wurde, hat keine Erfüllungswirkung.

2. Der Notar muss dem Verbleib erheblicher Zahlungseingänge nachgehen, wenn zwischen den eingegangenen Beträgen und den im Nachlassverzeichnis angegebenen Kontenständen beim Erbfall eine beachtliche Differenz besteht.

3. Eine Ermittlungstätigkeit des Notars, nur Überweisungen mit dem Zweck „Schenkung“ festzustellen, ist unzureichend. Allfällige Überweisungen lassen sich vielmehr an der Höhe des Überweisungsbetrages, an der zeitlichen Nähe zur Auflösung anderer Vermögenswerte oder auch an Zweifeln an dem angeblich zu Grunde liegenden Kausalgeschäft erkennen.

OLG Köln, Beschluss vom 25.02.2021 – 24 W 50/20, 24 W 51/20
(Leitsätze der Schriftleitung)

Zum Anspruch auf Wertermittlung des Pflichtteilsberechtigten bei Veräußerung des Nachlassgegenstands durch den Erben

Dem Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Wertermittlung gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB steht nicht der Umstand entgegen, dass der Nachlassgegenstand vom Erben nach dem Erbfall veräußert wurde.

BGH, Urteil vom 29.09.2021 – IV ZR 328/20
(Leitsatz)

Pflichtteilsentziehung

Der Entziehungsgrund des § 2333 Abs.1 Nr. 4 BGB setzt voraus, dass der Pflichtteilsberechtigte zu einer Einzelstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung verurteilt worden ist; die Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung oder — wie vorliegend — die Verhängung mehrerer Gesamtfreiheitstrafen, die zusammengerechnet eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung ergeben, reicht nicht aus.

OLG Köln, Beschluss vom 21.01.2021 – 1-24 U 144/20
(Leitsatz der Schriftleitung)

Beginn der Verjährung von Pflichtteilsansprüchen Geschäftsunfähiger

1. Für den Beginn der Verjährung des Pflichtteilsanspruchs eines Geschäftsunfähigen ist auf die Bestellung des Vormunds bzw. Betreuers und dessen Kenntnis abzustellen (§ 210 BGB).

2. Ein Vormund ist durch $ 1795 BGB nicht gehindert, von der Erhebung einer Klage bzw. Stellung eines verfahrenseinleitenden Antrags namens des Mündels gegen den Vormund oder einen nahen Angehörigen abzusehen.

OLG Hamm, Urteil vom 22.12.2020 – 10 U 103/19

Zurückbehaltungsrecht zugunsten des Erben gegenüber Pflichtteilsberechtigten in Zahlungsstufe

1. Durch notariellen Pflichtteilsverzicht kann die Anrechnung auf den Pflichtteil nach § 2315 BGB einer Zuwendung eines Ehegatten an den gemeinsamen Abkömmling auch für den Nachlass des anderen Ehegatten angeordnet werden.

2. Ist dem Pflichtteilsberechtigten unter Pflichtteilsanrechnung eine Immobilie zugewendet worden und hat dieser auf Verlangen des Erben hierzu keine wertbildenden Faktoren mitgeteilt, kann der Erben sich auf ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB gegenüber den Pflichtteilszahlungsansprüchen berufen.

OLG Oldenburg, Urteiil vom 23.06.2021 – III U 88/20
(Leitsatz)

Grabpflegekosten keine Nachlassverbindlichkeiten

1. Grabpflegekosten sind keine Nachlassverbindlichkeiten im Sinne von § 1968 BGB.

2. Eine in einer letztwilligen Verfügung enthaltene Auflage des Erblassers an die Erben zur Grabpflege führt nicht zu einer Kürzung eines Pflichtteilsanspruchs.

3. Zur Berechnung des Zusatzpflichtteils gemäß § 2305 BGB.

BGH, Urteil vom 26.05.2021 – IV ZR 174/20
§ 1968, 2305 BGB

Auslegung einer Pflichtteilsstrafklausel

Eine Pflichtteilsklausel, die auf ein „Verlangen“ des Pflichtteils nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten abstellt, greift nicht bereits dann ein, wenn der Pflichtteilsberechtigte die Erbenstellung des Überlebenden angreift (im Anschluss und in Abgrenzung zu OLG München, Beschl. v. 7.4.2011 – 31 Wx 227/10).

OLG München Beschl. v. 6.12.2018 — 31 Wx 374/17
§§ 2075, 2269 BGB

Zur Beweislast für pflichtteilsergänzungsrelevante Zuwendungen

Auch wenn der Zuwendungsempfänger nach höchstrichterlicher Rechtsprechung alle für die fehlende Unentgeltlichkeit einer Zuwendung des Erblassers maßgeblichen Tatsachen im Wege des substanziierten Bestreitens der Unentgeltlichkeit vortragen muss, obliegt die Beweislast für die Unentgeltlichkeit dem Pflichtteilsberechtigten selbst.

OLG München, Urteil vom 31.07.2019 – 7 U 3222/18
(Leitsatz)

„Verzicht“ auf den Pflichtteil als Erlassvertrag gemäß § 397 BGB

1. Verzichtet der Erbe nicht bereits vor dem Tod auf sein Pflichtteilsrecht, sondern erst nach dem Ableben des Erblassers auf den Pflichtteil bzw. den Pflichtteilsergänzungsanspruch, so kann dieser „Verzicht“ in rechtlicher Hinsicht als Erlassvertrag gemäß § 397 BGB einzuordnen sein. Der Abschluss eines solchen Erlassvertrages ist auch formlos möglich. An die Annahme eines solchen Erlassvertrages sind nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung strenge Anforderungen zu stellen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 10.05.2001 – VII ZR 356/00). Danach muss in der Erklärung mit hinreichender Deutlichkeit unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles zum Ausdruck kommen, dass eine materiellrechtlich wirkende Erklärung abgegeben werden soll. Das Angebot auf Abschluss eines Erlassvertrages muss unmissverständlich erklärt werden. An die Feststellung eines Verzichtswillens sind dabei strenge Anforderungen zu stellen; er darf insbesondere nicht vermutet werden. Selbst bei einer eindeutig erscheinenden Erklärung des Anspruchsgläubigers darf ein Verzicht nicht angenommen werden, ohne dass bei der Feststellung zum erklärten Vertragswillen sämtliche Begleitumstände berücksichtigt worden sind.

2. Eine mit Zustimmung erfolgte Schenkung bleibt analog § 1375 Abs. 3 BGB bei der Pflichtteilsergänzung unberücksichtigt.

LG Deggendorf, Endurteil vom 19.09.2019 — 32 O 779/18
(Leitsätze der Schriftleitung)

Zur Pflichtteilsanrechnung bei Zuwendungen

1. Die Anordnung zur Pflichtteilsanrechnung nach § 2315 BGB muss so eindeutig sein, dass sie für den Pflichtteilsberechtigten vor oder bei der Zuwendung als solche erkennbar ist.

2. Ohne Weiteres ergibt sich aus der Zweckbestimmung „Erbteil“ in dem Überweisungsformular nicht die Bewertung als Pflichtteilsanrechnung nach $ 2315 BGB.

OLG Koblenz, Urteil vom 15.06.2020 – 12 U 1566/19
(Leitsätze der Schriftleitung)
§ 2315 BGB

Pflichtteilsentziehung, Anforderungen an ein Nachlassverzeichnis und Wertermittlung, Zurückbehaltungsrecht bei Auskunftsansprüchen

1. Die Formulierung in einem Testament, ein enterbter Abkömmling habe „seinen gesamten Erbteil bereits genommen“, kann nicht ohne Weiteres als Entziehung des Pflichtteils ausgelegt werden.

2. Fotos von Nachlassgegenständen sind nicht geeignet, das gem. §§ 2314, 260 BGB geschuldete Bestandsverzeichnis zu ersetzen.

3. Eine den Anforderungen des § 2314 Abs.1 5.2 BGB genügende Begutachtung setzt voraus, dass der Sachverständige das zu bewertende Grundstück selbst in Augenschein nimmt und sich nicht auf Angaben des Erben verlässt.

4. Ein Zurückbehaltungsrecht ist durch die besondere Natur des Auskunftsanspruchs ausgeschlossen, selbst wenn der Gegenanspruch ebenfalls auf die Erteilung einer Auskunft gerichtet ist.

OLG Düsseldorf, Urteil vom 24.04.2020 – I-7 U 62/19
§§ 273, 2314, 2333, 2336 BGB

Zur Verjährung des Anspruchs aus § 2329 BGB bei gerichtlicher Feststellung der Vaterschaft

Der Anspruch gegen den Beschenkten aus § 2329 BGB verjährt auch dann in 3 Jahren von dem Eintritt des Erbfalls an, wenn erst nach Ablauf dieser Frist gerichtlich festgestellt wird, dass der Erblasser der Vater des Pflichtteilsberechtigten ist.

OLG Düsseldorf, Urteil vom 01.12.2017-1-7 U 151/16
§§ 1600d, 2329, 2332 BGB