Testamentsauslegung: Anwachsung oder Ersatzerbschaft bei Wegfall eines (Schluss-)Miterben

1. Für eine Erbeinsetzung durch Zuwendung von Vermögen ohne Erbenbezeichnung gemäß § 2087 BGB ist der Wille entscheidend, den Bedachten insoweit als Gesamtrechtsnachfolger einzusetzen; mit der Bestimmung, die Beerdigung zu übernehmen und den Hausstand aufzulösen, ist eine Erbeinsetzung nicht verbunden.

2. Fällt ein Miterbe vor dem Erbfall weg, ist bei der gebotenen erläuternden oder ergänzenden Auslegung der letztwilligen Verfügung vorweg zu prüfen und festzustellen, ob Ersatzerbschaft angeordnet ist, die eine Anwachsung verdrängt (arg. e. §§ 2094 Abs. 1,2096, 2099 BGB).

3. Für den Ausschluss der Anwachsung gemäß § 2094 Abs. 3 BGB genügt es, wenn er aus dem Gesamtinhalt der Verfügung mit hinreichender Sicherheit festzustellen ist.

4. Die Auslegungsregel des § 2069 BGB zugunsten der Erbschaft von Abkömmlingen als Ausprägung einer allgemeinen Lebenserfahrung ist nicht — auch nicht analog — in der Seitenlinie anwendbar, für die eine solche Erfahrungsgrundlage fehlt.

5. Die erläuternde oder ergänzende Auslegung, dass in der Erbeinsetzung zugleich die Kundgabe des Willens liegt, Abkömmlinge des Bedachten zu Ersatzerben zu berufen, bedarf einer zusätzlichen Begründung der dahin gehenden Willensrichtung des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung.

6. Ein enges Verhältnis des eingesetzten Erben zum Erblasser reicht für die Feststellung eines solchen Erblasserwillens allein nicht; zusätzlich sind Umstände erforderlich, die ergeben, dass die Zuwendung dem Bedachten als erstem seines Stammes und nicht nur ihm persönlich gegolten hat.

7. Die Annahme, schon in der Berufung als Erbe sei ein Stammesbezug im Testament angedeutet, führt zur Rechtsunsicherheit und ist mit den Formvorschriften der §§ 2247, 2267 BGB nicht zu vereinbaren.

8. Die Auslegungsregeln des § 2066 BGB zugunsten gesetzlicher Erben und des § 2067 BGB zugunsten von Verwandten ohne nähere Bestimmung scheiden bei namentlichen oder auch nur individualisierenden Bezeichnungen von Bedachten aus.

KG Beschluss vom 22.06.2020 – 19 W 91/19
(Leitsätze von RiBGH a.D. Roland Wendt, Karlsruhe)