Anspruch des Nacherben auf die Erbfallkostenpauschale

  1. Neben dem Vorerben kann auch der Nacherbe den Pauschbetrag für Erbfallkosten nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 S. 2 ErbStG in Anspruch nehmen.
  2. Der Abzug des Pauschbetrags setzt nicht den Nachweis voraus, dass zumindest dem Grunde nach tatsächlich Kosten angefallen sind (Änderung der Rechtsprechung).

Bundesfinanzhof, Urteil vom 01.02.2023, Leitsatz — II R 3/20

Auswirkungen der Unwirksamkeit einer Pflichtteilsentziehung durch Verzeihung auf die Wirksamkeit einer Enterbung

  1. Von einem zur Anfechtung nach § 2078 Abs. 2 BGB berechtigenden Irrtum des Erblassers ist nur dann auszugehen, wenn die Fehlvorstellung des Erblassers der letztlich entscheidende, ihn bewegende Grund für die Enterbung gewesen wäre und er bei Kenntnis der tatsächlichen Umstände mit Sicherheit von der Enterbung abgesehen hätte.
  2. Eine Verzeihung kann die Unwirksamkeit einer Enterbung nur über § 2085 BGB herbeiführen, d.h. wenn sich ein Erblasserwille feststellen lässt, wonach die — durch eine Verzeihung nach § 2337 BGB eingetretene – Unwirksamkeit der Pflichtteilsentziehung die Unwirksamkeit der Enterbung nach sich ziehen soll.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 08.02.2023, Leitsatz – 11 W 94/21 (Wx)

Zum Feststellungsinteresse des Sozialhilfeträgers an der Erbenstellung einer Sozialleistungsbezieherin

  1. Das Recht zur Ausschlagung der Erbschaft ist ein allein dem Erben bzw. seinen Rechtsnachfolgern, den Erbeserben, persönlich zustehendes Recht. Ein Sozialhilfeträger kann das Ausschlagungsrecht nicht auf sich überleiten und ausüben. Andernfalls erhielte der Sozialhilfeträger die Möglichkeit, auf die Erbfolge Einfluss zu nehmen, was generell nicht dem Erblasserwillen entspricht und nach dem Gesetz den Bedachten selbst vorbehalten ist.
  2. Gegenstand einer Feststellungsklage kann auch ein Rechtsverhältnis zwischen einer Partei und einem Dritten sein bzw. ein Rechtsverhältnis, an dem der Kläger nicht beteiligt ist. Voraussetzung für die Zulässigkeit einer solchen Klage ist aber, dass dieses Rechtsverhältnis zugleich für die Rechtsbeziehungen der Prozessparteien untereinander von Bedeutung ist und der Kläger ein rechtliches Interesse an einer alsbaldigen Klärung dieser Frage hat. Ausreichend ist eine wenigstens mittelbare Betroffenheit des Klägers.
  3. Die Klage eines Testamentsvollstreckers und die Klage eines Sozialhilfeträgers auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines von einem Erbprätendenten in Anspruch genommenen Erbrechts sind nicht vergleichbar. Der Testamentsvollstrecker hat in diesem Fall ein Feststellungsinteresse, welches aus seinem eigenständigen Recht, den letzten Willen des Erblassers zu verwirklichen und zu verteidigen, folgt. Ein Sozialhilfeträger hat — wie in der diesem Fall zugrundeliegenden Konstellation — aber keine rechtliche Beziehung zum Nachlass.

BGH, Beschluss vom 02.11.2022, Leitsatz – IV ZR 39/22

Zur Erbausschlagung bei Bestehen einer unklaren Rechtslage

  1. Die Frist zur Erbausschlagung beginnt gemäß § 1944 Abs. 2 S. 1 BGB erst mit der Kenntnis über den Anfall der Erbschaft und den Grund der Berufung. Bei mehreren sich widersprechenden, gewillkürten Erbfolgeregelungen stellt jede für sich einen Berufungsgrund dar, über den jeweils für sich genommen falsche Vorstellungen den Beginn der Ausschlagungsfrist hindern können.
  2. Ein die Kenntnis ausschließender Rechtsirrtum kann auch dann vorliegen, wenn dem Erben die richtige Einschätzung der Rechtslage als mögliche Betrachtungsweise zwar bekannt ist, er selbst aber die Rechtslage anders beurteilt oder sie jedenfalls für zweifelhaft hält.
  3. Eine Markierung von Nachlassgegenständen ist ein mehrdeutiger Verhaltensakt, sodass es für den Rückschluss auf einen konkludenten Annahmewillen auf die Umstände des Einzelfalls ankommt.
  4. § 1948 Abs. 2 BGB schließt die Beachtlichkeit eines den Beginn der Ausschlagungsfrist hemmenden Rechtsirrtums im Sinne des § 1944 Abs. 2 S. 1 BGB nicht aus.
  5. Setzt die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs die Ausschlagung voraus, beginnt die Verjährung grundsätzlich nicht erst mit der Ausschlagung, sondern mit dem Erbfall. Die entsprechende Hemmung des Beginns der Verjährungsfrist ist jedoch in Fällen, in denen sich der Pflichtteilsanspruch erst aus einer nach der Ausräumung eines beachtlichen Irrtums über den Berufungsgrund erfolgten Ausschlagung ergibt, anerkannt.

LG Wuppertal, Urteil vom 06.01.2023, Leitsatz – 2 O 298/19

Bemessung des Streitwerts und der Beschwer bei eigener Forderung des Klägers gegen den Nachlass

  1. Maßgebend für die Bemessung des Streitwerts und damit auch für die Rechtsmittelbeschwer des erstinstanzlich unterlegenen Klägers im Fall einer Erbfeststellungsklage ist der vom Kläger für sich in Anspruch genommene Anteil am Nachlass.
  2. Bei der Bemessung der Beschwer bzw. des Streitwerts sind nur unstreitige Verbindlichkeiten abzuziehen.
  3. Eine Forderung, die der Kläger selbst gegen den Nachlass geltend macht, hat wirtschaftlich auf seine begehrte Alleinerbenstellung keinen Einfluss, sondern wirkt sich erst mittelbar durch die eingetretene Konfusion in seinem Vermögen aus, ändert aber an dem Wert seiner begehrten wirtschaftlichen Beteiligung am Nachlass nichts.

BGH, Beschluss vom 22.2.2023, Leitsatz – IV ZB 13/22

Zu den Voraussetzungen des Nottestaments vor drei Zeugen gem. § 2250 Abs. 2 BGB

1. Die Voraussetzungen der Errichtung eines Nottestaments i.S.d. § 2250 Abs. 2 BGB sind eng auszulegen, denn § 2250 BGB ist bereits eine Ausnahmevorschrift und regelt die Zulässigkeit abweichend von den ihrerseits bereits strengen Formvorschriften der §§ 2231, 2247 BGB und der weiteren Ausnahmevorschrift des § 2249 BGB.

2. Die Mitwirkung eines vierten Zeugen, in dessen Person ein Ausschlussgrund vorliegt, ist grundsätzlich unschädlich. Dies gilt auch, wenn die Anwesenheit des vierten Zeugen die Testamentserrichtung beeinflussen könnte; denn es ist anzunehmen, dass die Anwesenheit von drei unbefangenen Zeugen eine ordnungsgemäße Testamentserrichtung gewährleistet.

3. Todesgefahr liegt objektiv vor, wenn von einem klinischen Zustand einer unmittelbar bevorstehenden Endphase des Lebens ausgegangen werden kann, wie beispielsweise beginnenden kleinen Organausfällen. Nicht ausreichend ist deshalb, dass der Erblasser wegen einer fortgeschrittenen, nicht mehr heilbaren Erkrankung nur noch kurze Zeit zu leben hat.

4. Ein Bürgermeistertestament kommt nicht lediglich in kleinen ländlichen Gemeinden in Betracht. Vielmehr ist nach dem eindeutigen Wortlaut des § 2250 Abs. 2 BGB stets die Vorrangigkeit auch des Bürgermeistertestaments zu beachten.

5. Die Besorgnis der Unerreichbarkeit eines Notars ist immer dann begründet, wenn das Nottestament deutlich außerhalb der üblichen Bürozeiten eines Notariats errichtet wird. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Erblasser einen Notar kennt.

KG Berlin, Beschluss vom 22.06.2022 – 6 W 7/21
(Leitsätze)

Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Ehemanns durch Berichterstattung über den Tod der Ehefrau

1. Zur Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Ehemanns durch eine Berichterstattung über die Umstände des Todes der Ehefrau.

2. Gegen rechtsverletzende Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht kann nur der unmittelbar Verletzte, nicht auch derjenige vorgehen, der von den Fernwirkungen eines Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht eines anderen nur mittelbar belastet wird, solange diese Auswirkungen nicht auch als Verletzung des eigenen Persönlichkeitsrechts zu qualifizieren sind. Es hängt von den Umständen einer Berichterstattung über den Tod einer Person im Einzelfall ab, ob sie das Persönlichkeitsrecht eines nahen Angehörigen unmittelbar oder nur mittelbar beeinträchtigt.

3. Eine vom Recht auf Achtung der Privatsphäre umfasste Situation großer emotionaler Belastung kann auch die des Bangens um das Leben eines nahen Angehörigen sein.

BGH, Urteil vom 17.05.2022 – VI ZR 123, 124, 125 und 141/21

Hemmung der Abschmelzungsfrist bei vorbehaltenem Wohnungsrecht

1. Das dem Erblasser eingeräumte Wohnungsrecht hemmt im vorliegenden Einzelfall den Beginn der Abschmelzungsfrist gemäß § 2325 Abs. 3 BGB, weil es an allen relevanten Räumen des verschenkten Hauses besteht, so dass der Erwerber insoweit keine eigene Nutzungsmöglichkeit hatte (Anschluss an BGH Urt. v. 29.06.2016 – IV ZR 474/15).

2. In einem solchen Fall sind die Unterschiede zwischen einem vorbehaltenen Nießbrauch und dem tatsächlich vereinbarten Wohnungsrecht so gering, dass die Interessen des Pflichtteilsberechtigten, denen bei der Beurteilung der Frage der Hemmung des Fristenlaufs gemäß § 2325 Abs. BGB besonderes Gewicht zukommt, es rechtfertigen, den Lauf der Frist gemäß § 2325 Abs. 3 BGB als gehemmt anzusehen (Anschluss an BGH Urt. v. 19.07.2011 – X ZR 140/10).

OLG München, Urteil vom 08.07.2022 – 33 U 5525/21
(§ 2325 BGB)

Ersatzanspruch gemäß § 1968 BGB

1. Werden die Kosten der Beerdigung von dem Bestattungsberechtigten getragen, so begründet § 1968 BGB einen Ersatzanspruch gegen den Erben.

2. Der Umfang der Erstattungspflicht wird in erster Linie durch die Lebensstellung des Verstorbenen bestimmt und umfasst diejenigen Kosten, die für eine würdige und angemessene Bestattung erforderlich sind.

3. Sieht sich ein zu Lebzeiten vom Erblasser Bevollmächtigter nicht lediglich einem Verlangen des Erben nach Auskunft und Rechenschaftslegung über die erfolgten Kontobewegungen ausgesetzt, sondern dem klar formulierten – aber in der Sache unberechtigten – unmittelbaren Vorwurf eines von ihm in Benachteiligungsabsicht begangenen Missbrauchs der Kontovollmacht nebst Rückzahlungsaufforderung, darf der Bevollmächtigte zur Abwehr dieser Ansprüche einen Rechtsanwalt einschalten und dessen Kosten als Schadensersatz gegenüber dem Erben geltend machen.

4. Zudem kann für eine negative Feststellungsklage ein Interesse des Bevollmächtigten an der Feststellung, dass ein im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den Erben übergegangener Zahlungsanspruch nicht besteht, angenommen werden.

OLG Koblenz, Hinweisbeschluss vom 03.09.2021 – 12 U 752/21
(Leitsatz)

Zur vorsorglichen Bestellung eines weiteren Testamentsvollstreckers

In Ermangelung eines wirksamen Ersuchens des Erblassers, das sich dem Testament – ggf. durch Auslegung – entnehmen lassen muss, kann das Nachlassgericht auch bei Zweifeln an der Amtsführung des derzeitigen Amtsinhabers nicht vorsorglich einen weiteren Testamentsvollstrecker bestellen.

OLG Saarbrücken, Beschluss vom 04.05.2021 – 5 W 52/20
(Leitsatz)

§ 2227 BGB Entlassung des Testamentsvollstreckers: Auslegung des Merkmals „wichtiger Grund“

1. Ob ein wichtiger Grund im Sinne von § 2227 BGB 1. vorliegt, beurteilt sich nach den jeweiligen Umständen des konkreten Einzelfalles. Dabei ist bereits bei der Prüfung eines wichtigen Grundes zwischen dem Interesse an der Beibehaltung im Amt und dem entgegengesetzten Interesse an der Entlassung des Testamentsvollstreckers abzuwägen mit der Folge, dass im Ergebnis nur Gründe eine Entlassung aus dem Amt des Testamentsvollstreckers rechtfertigen, die ein solches Gewicht besitzen, dass sie sich gegenüber den für eine Fortführung des Amtes sprechenden Gründen durchsetzen.

2. Steht die fachliche Eignung des Testamentsvollstreckers außer Frage und wird das Entlassungsgesuch vom Miterben alleine mit dem Vorwurf begründet, der Testamentsvollstrecker habe bei der Verwaltung oder Auseinandersetzung des Nachlasses seine Pflichten verletzt, setzt ein wichtiger Grund im Sinne von § 2227 BGB dreierlei voraus:

a) Die zur Last gelegte Pflichtverletzung muss geeignet sein, die berechtigten Belange des antragstellenden Miterben, namentlich die mit seiner Miterbenstellung verbundenen Vermögensinteressen, zu beeinträchtigen.

b) Die Pflichtverletzung muss zudem schuldhaft begangen worden sein und überdies ein solches Gewicht besitzen, dass sie nach den konkreten Umständen des Falles als eine grobe Verfehlung betrachtet und wertungsmäßig mit der Unfähigkeit des Testamentsvollstreckers zu einer ordnungsgemäßen Ausübung seines Amtes auf eine Stufe gestellt werden kann.

c) Die Abwägung der widerstreitenden Interessen unter Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens des Erblassers muss schließlich zu dem Ergebnis führen, dass der. Testamentsvollstrecker aus seinem Amt entfernt werden muss.

d) Im Einzelfall kann die Anwendung dieser Grundsätze dazu führen, dass eine Entlassung aus dem Testamentsvollstreckeramt nur dann verlangt werden kann, wenn der Testamentsvollstrecker bei der Verwaltung und Auseinandersetzung des gesamthänderisch gebundenen Nachlasses zum Nachteil des Antragstellers und in einem Maße grob pflichtwidrig gehandelt hat, dass diesem ein weiteres Tätigwerden des Testamentsvollstreckers nicht zugemutet werden kann.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07.10.2021 – I-3 Wx 59/21
(Leitsatz)

Anfechtung einer Erbausschlagung: Irrtum über die Werthaltigkeit des Nachlasses

Der potentielle gesetzliche Erbe, der die Erbschaft ohne Angabe von Gründen ausschlägt und sodann mit Blick auf die inzwischen festgestellte Werthaltigkeit des Nachlasses seine Ausschlagungserklärung anficht, weil er irrtümlich von einem überschuldeten Nachlass ausgegangen sei, macht nicht den Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft (Erbschaft), sondern einen bloßen unbeachtlichen Motivirrtum geltend, da er seine Ausschlagungserklärung ohne Kenntnis von der Zusammensetzung des Nachlasses und ohne Bewertung ihm etwa bekannter oder zugänglicher Fakten, nämlich auf spekulativer — bewusst ungesicherter – Grundlage abgegeben hat.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom  09.12.2020 –  I-3 Wx 13/20
(Leitsatz)